Nach 15 Jahren als Autofahrerin habe ich es 2019 geschafft, mein Auto zu verkaufen und aufs Fahrrad umzusteigen. Ergänzend dazu nutze ich öffentliche Verkehrsmittel. Hier ist meine Geschichte, wie ich das geschafft habe und warum das manchmal ein ganz schönes Abenteuer war.
Autofahren ist neben dem Fliegen ein großer privater Anteil in Sachen CO2-Emissionen. Zudem ist es ein Bereich in dem ich als Einzelperson schnell etwas verändern kann, um CO2 einzusparen. Das Fliegen hatte ich schon länger aufgegeben, ein Auto besaß ich allerdings noch und zu Beginn war es unvorstellbar, darauf zu verzichten.
Ich fahre Auto seit ich 18 bin. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen und ein eigenes Auto bedeutete damals Freiheit. Die Busverbindungen auf dem Dorf sind mies und damals waren sie sogar noch schlechter als heute. Daher stellte ich mir damals überhaupt nicht die Frage, ob es umweltverträglich ist, ein Auto zu besitzen. Gleichzeitig wollte ich aber schon immer in der Stadt leben. Ich fand das Dorfleben damals einengend und fad. Wann immer ich einkaufen oder ausgehen wollte, musste ich ins Auto steigen. Als es tatsächlich mit dem Umzug in die Stadt funktionierte, kam allerdings bald die Erkenntnis, dass ein Auto dort nicht viel Sinn macht. Permanente Staus, komplizierte Straßenführungen und ständige Parkplatzsuche gehörten zum Alltag. Somit blieb das Auto immer öfter stehen, stattdessen benutzte ich den Bus, das Fahrrad oder ging zu Fuß.
Irgendwann setzte sich aber der Gedanke bei mir fest, noch mehr als bisher aufs Auto zu verzichten. Bisher erledigte ich zwar viele Wege autofrei, sobald es aber anstrengend wurde, nutzte ich doch den bequemen Weg. Das wollte ich ändern.
Der erste Schritt war der Verzicht des Autos auf die Kurzstrecke zum Yoga. Mein Yogakurs fand im gleichen Stadtteil statt, in dem ich wohnte. Fahrtzeit mit dem Auto etwa 5, mit dem Rad etwa 10 Minuten. Bisher hatte mich der Berg abgehalten, den ich hochfahren musste um zum Studio zu gelangen. Achja, und das schlechte Wetter und die Dunkelheit im Herbst und Winter. Ausreden gab es genug. Meine neue Motivation war, den Berg als zusätzliche sportliche Aktivität zu sehen, ergänzend zum Yoga sozusagen. Für den Herbst und Winter habe ich mir ausgerechnet, wie absurd hoch der Benzinverbrauch zu dieser Jahreszeit für eine solche Kurzstrecke ist. Davon abgesehen, dass die Innenraumheizung sowieso erst ihre volle Stärke erreicht hatte, wenn ich bereits am Studio ankam. Es war also weder wärmer und erst recht nicht günstiger, wenn ich mit dem Auto fuhr, es war einfach nur bequemer. Daher strich ich die Ausreden, stieg aufs Rad und hab nie wieder darüber nachgedacht. Der Weg zum Yoga war ab jetzt eine Fahrradstrecke für mich.
Der nächste Punkt den Danny, mein Mann und ich, angingen war unsere Einkaufstour.
Danny hatte schon eine Weile kein eigenes Auto mehr, aber bisher hatten wir die Einkäufe meist noch mit meinem Auto erledigt. Im Sommer 2018 sind wir dafür auf die Fahrräder umgestiegen, einfach weil Fahrradfahren im Sommer unglaublich Spaß macht. Viel mehr Spaß übrigens als im Auto zu sitzen, trotz Klimaanlage. Im Winter 2018 wurden wir leider wieder rückfällig und sind aufs Auto umgestiegen. (Hallo Bequemlichkeit!) Doch ab dem Frühjahr 2019 wollten wir es richtig machen. Die Aufgabe lautete: Wie kann ein kompletter Wocheneinkauf mit dem Fahrrad erledigt werden, der gerne auch mal ein Getränkekasten (bei uns sehr oft ein Kasten Mate) enthält? Außerdem kochen und essen wir beide gerne, daher ist unser Einkaufsvolumen nicht gerade klein. Vor allem frisches Gemüse nimmt einiges an Platz in Anspruch.
Wir hatten das Jahr davor mit Gepäckträgertaschen experimentiert. Der Nachteil war, dass nur mein Fahrrad überhaupt einen Gepäckträger besitzt. Zudem ist es alles andere als leicht, eine voll bepackte Tasche vom Gepäckträger abzunehmen und den Getränkekasten konnten wir so auch nicht transportieren. Uns kam die Idee, ein Lastenfahrrad anzuschaffen. Allerdings werden unsere Fahrräder zur Sicherheit über Nacht im Keller eingeschlossen. Die Aussicht ein etwa 30kg schweres Lastenrad einmal die Woche 10 enge Stufen rauf- und runtertragen zu müssen erschien uns nicht besonders rosig. Noch dazu nimmt das Teil ja auch jede Menge Platz weg, dafür dass es 6 Tage in der Woche nur rumsteht. Die Alternative war ein Fahrradanhänger, den wir schon öfter zum Transport von Kindern (manchmal auch Hunden) gesehen hatten.
Nach einer kurzen Recherche fanden wir genau, was wir gesucht hatten. Eine Firma für Fahrradanhänger hatte einen neu entwickelten Cargo-Anhänger im Sortiment. Ebene Ladefläche, bis 40kg belastbar und mittels einer Abdeckung war die Ladung bei leichtem Regen geschützt. Durch eine Anhängerkupplung kann der Anhänger am Rad befestigt werden und wenn er nicht benötigt wird, wird er platzsparend zusammengefaltet. Genau das, was wir brauchten. Obwohl er nicht ganz günstig war, bestellten wir den Anhänger und haben es seitdem nie bereut. Unsere Einkäufe passen locker drauf, sogar der Getränkekasten ist kein Problem. Wir können damit unsere Einkaufsrunde erledigen ohne uns über fehlende Parkplätze zu sorgen und an Staus fahren wir lächelnd vorbei. Auch kleine Einkäufe im Baumarkt sind damit kein Problem.
Es blieb somit nur noch eine Autostrecke übrig, die gleichzeitig aber auch die größte Herausforderung darstellte:
Mein Weg zur Arbeit.
Das würde hart werden, das wusste ich. Immerhin habe ich damals in einer anderen Stadt gearbeitet und wollte aber weiterhin pünktlich am Arbeitsplatz sein. Ich wohne in Saarbrücken aber hab lange in Saarlouis gearbeitet. Das bedeutet, wenn ich nicht jeden Tag über 60km mit dem Fahrrad zurücklegen wollte, musste ich hier mehrere Verkehrsmittel kombinieren. Ich musste also neben dem Fahrrad die Bahn einbeziehen. Das erleichterte das Vorhaben nicht unbedingt, immerhin ist der Arbeitsweg sowieso schon zeitkritisch um pünktlich zu sein und durch den Fahrplan war ich nun an die Abfahrtszeiten der Züge gebunden.
Aber ich war fest davon überzeugt, dass ich das durchziehen will. Nachdem ich mich so stark mit dem Thema beschäftigt hatte, hatte ich keine Lust mehr Versicherungen, Steuern, Inspektionen, Sprit etc. für ein Auto zu bezahlen, dass 23 Std. am Tag irgendwo parkt.
Der Plan war, mit dem Fahrrad von zu Hause zum Bahnhof Saarbrücken zu fahren, von dort aus mit dem Zug nach Saarlouis und wieder aufs Rad bis zu meiner Arbeitsstätte. Soweit so gut, beide Fahrradwege betrugen jeweils etwa 4km und waren in ca. 15 Minuten zu bewältigen und im Fahrplan fand ich eine passende Bahnverbindung. Doch die Fahrradmitnahme im Zug kostete Geld, zumindest morgens zur Haupt-Pendlerzeit. Da ich das Zusatzticket nicht investieren wollte, besorgte ich mir ein Zweitrad für Saarlouis, welches ich über Nacht am Bahnhof deponieren wollte.
Ich sah darin kein Problem. Mein aktuelles Fahrrad hatte schon mehrfach die Nacht draußen verbracht, irgendwo angekettet in Saarbrücken und es hatte nie Probleme gegeben. Immerhin war es ein billiges Fahrrad, dass ich damals für knapp 140€ gekauft hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendjemand das klauen würde und machte mir daher keine Sorgen. Das neue Zweitrad, welches teurer war, würde ja in Saarbrücken bleiben und wäre nachts im Keller eingesperrt. Also kein Problem. Es dauerte nur wenige Tage, bis ich eines Besseren belehrt wurde.
Aber erst mal war ich super aufgeregt und gleichzeitig super nervös an meinem ersten Tag, an dem ich mit dem Rad zur Arbeit fuhr. Ich kontrollierte zu Hause im Minutentakt in der Bahn-App, ob mein Zug pünktlich sein würde. Dann fuhr ich unnötig früh zu Hause los, aus Angst den Zug zu verpassen. Während der ganzen Zugfahrt war ich hellwach, um bloß den Ausstieg nicht zu verpassen und beim Weg vom Bahnhof zur Arbeit trat ich so schnell in die Pedale, dass meine Beine vor Anstrengung zitterten als ich ankam. Aber es lief alles super. Der Zug war pünktlich und ich kam rechtzeitig zur Arbeit. Es fühlte sich zwar unglaublich seltsam an, zu wissen, dass mein Auto nicht hier war, aber alles war gut.
Die Rückfahrt nach Hause war schon viel entspannter. Zu Hause angekommen war ich euphorisch.
Ich fühlte mich wahnsinnig gut, ich hatte es tatsächlich getan. In dem Moment fühlte ich mich, als könnte ich alles schaffen.
Dieses Gefühl wurde am nächsten Morgen allerdings abrupt gedämpft.
Bis nach Saarlouis verlief alles gut, aber als ich mein Fahrrad betrachtete, dass die Nacht am Saarlouiser Hauptbahnhof zugebracht hatte, bekam ich einen kleinen Schock. Mein Sattel war abmontiert, lag zum Glück aber nur ein paar Meter weiter. Doch der Schnellspanner zur Befestigung des Sattels fehlte. Als ich den Sattel lose wieder auf das Sattelrohr schob, rutschte er natürlich bis ganz nach unten durch und war total locker. Leider half es nichts, die Zeit lief mir weg um pünktlich bei der Arbeit anzukommen. Also musste ich mich so aufs Fahrrad setzen und losfahren, meine Knie beim Treten knapp unter den Achseln. Ich kam mir vor, als würde ich ein Kinderrad fahren, oder ein winziges Clownsrad.
Ich konnte mich erst am Nachmittag darum kümmern. Also ließ ich den Zug nach Hause sausen und schob mein Rad in eine Fahrradwerkstatt. Nachdem der dortige Chef sich mein Fahrrad angesehen hatte, konnte er mir zum Glück sofort helfen. Aus den Tiefen des Ladens beförderte er eine neue Befestigung für den Sattel, diesmal mit einer Schraube statt eines Schnellspanners. Heute weiß ich, dass ich die anderen Schnellspanner ebenfalls hätte wechseln lassen sollen. Damals glaubte ich an ein Einmalereignis. Das sollte sich bald als falsch herausstellen.
Innerhalb des ersten Monats in dem ich mit dem Fahrrad zur Arbeit pendelte, wurde mein Fahrrad nämlich noch drei weitere Male beschädigt. Einmal sägten sie mein Fahrradschloss an, weshalb ich es gegen das stärkste Faltschloss tauschte, was ich bekommen konnte. Das Teil hat übrigens ein Eigengewicht von 2kg. Ein weiteres Mal entfernten sie den Schnellspanner am Vorderrad. Fatal war, dass ich das nicht sofort bemerkte, sondern erst, als ich schon zur Arbeit hin- und wieder zurückgefahren bin. Mittags am Bahnhof, als ich das Rad in den Fahrradständer hievte bemerkte ich, dass die Gabel vorne nur lose auf dem Vorderrad saß. Damit war ich 8km über Hauptverkehrsstraßen gefahren! Mir wurde kurz schlecht, als ich realisierte was hätte passieren können, vor allem da ich auch recht unbedarft über Bordsteine gebrettert bin. Als ich mich gefangen hatte, statte ich dem Fahrradladen meinen zweiten Besuch ab und ließ auch hier eine feste Verschraubung installieren. Nun gab es eigentlich keine Teile mehr, die bei dem Rad leicht abmontiert werden konnten. Die Folge davon war, dass kurz darauf meine Reifen platt gestochen waren.
Damit reichte es mir endgültig, aber ich weigerte mich, meinen Plan aufzugeben mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren.
Dabei wäre ich nicht die Erste gewesen. Ein Mitradler den ich manchmal am Fahrradständer traf erzählte mir, dass das hier sein drittes Rad wäre. Die beiden anderen die er ebenfalls regelmäßig hier abgestellt hätte, wären entweder komplett zerstört oder gestohlen worden. Er würde jeden Tag feststellen, dass Räder beschädigt wären und wäre stets dankbar, wenn seins diesmal verschont wurde. Eine Frau mit der ich mich im Zug unterhielt berichtete ähnliches. Allerdings hatte sie das Radfahren nach dem ersten Vandalismus recht schnell aufgegeben. Wieder andere Fahrradfahrer:innen hatten sich ein Klapprad gekauft, um es im Zug mitnehmen zu können oder investierten Geld für ein Extraticket. Dem Fahrradständer am Bahnhof vertraute niemand mehr wirklich, der sein Rad einmal dort abgestellt hatte.
Nachdem ich schon begonnen hatte, nach Klapprädern zu recherchieren entdeckte mein Mann am Bahnhof Saarlouis, etwas abseits gelegen, vier Fahrradboxen. Sie sahen alt und verwittert aus, aber sie schienen noch in Benutzung zu sein. Nachdem ich mich rumgefragt und mehrere E-Mails, zuerst an die Bahn und dann an die Stadt Saarlouis, geschrieben hatte, fand ich heraus wer diese Boxen vermietet. Ich hatte unglaubliches Glück, nur zwei Wochen danach wurde eine Box frei. Ich mietete sie sofort und brauchte mir endlich keine Sorgen mehr darüber zu machen, in welchem Zustand ich mein Rad am nächsten Morgen vorfinden würde.
Das Radfahren ansonsten klappte ziemlich gut. Ich genoss die morgendliche Fahrt entlang der Saar und die Zeit im Zug die ich zum Lesen nutzte. Selbst Regenwetter konnte mir nichts anhaben, ich hatte mich dank Poncho, Regenhose und passenden Schuhüberziehern wetterfest ausgestattet.
Mein Auto verkaufte ich nach einem Monat Testphase. Danach gab es kein zurück mehr, es existierte schlichtweg keine Alternative mehr.
Heute zurückblickend würde ich es jederzeit wieder so machen.
Ich kann mir tatsächlich nicht mehr vorstellen, dauerhaft ein Auto anzuschaffen. Früher bin ich tatsächlich gerne Auto gefahren, heute hab ich viel mehr Spaß daran mit dem Fahrrad unterwegs zu sein und in der Stadt an den Autokolonnen vorbeizuziehen.
Mir ist auch bewusst, dass eine komplette Umstellung nicht für jede:n so einfach möglich ist. Die Busverbindungen im Saarland auf den Dörfern sind immer noch mies, erst recht am Wochenende. Glücklich ist, wer einen Bahnhof in der Nähe hat. Der Rest müsste kilometerweit Fahrrad fahren, zu Hause bleiben oder eben doch weiterhin ein Auto nutzen.
Aber auch in der Stadt ist längst nicht alles perfekt. Vor allem da Saarbrücken aufgepinselte Fahrradstreifen für adäquate Fahrradwege hält. In Saarlouis sind oft nicht mal Schutzstreifen vorhanden. Vom Mindestabstand von 1,50m beim Überholen haben viele Autofahrer:innen gefühlt noch nie etwas gehört. Das macht es schwierig, auch die Menschen zum Umsteigen zu bewegen, die sich nicht trauen auch ohne Fahrbahnmarkierung auf der Straße zu fahren.
Aber vielleicht kann meine Geschichte dich ja doch inspirieren, den Umstieg zu wagen. Du musst dein Auto ja nicht gleich verkaufen, fang mit kurzen Wegen ohne Zeitdruck an, die du zukünftig mit dem Rad bewältigst und schau, was passiert. Wenn es geht, suche dir schöne Fahrradstrecken zu deinem Ziel, auch wenn das einen kleinen Umweg bedeutet. Und gib nicht gleich auf, wenn es anstrengend wird, sondern versuche es einfach nochmal oder versuche es anders. Du wirst sehen, es ist viel mehr möglich als du glaubst. Zudem stärkt es deinen Weg in Richtung Nachhaltigkeit, verbessert deine CO2-Bilanz und macht dabei noch jede Menge Spaß. Nebenbei wirst du auch noch fit dabei und irgendwann wirst du dich fragen, warum du damit nicht schon früher angefangen hast. Zumindest geht es mir so.
Danke für diese schöne und anschaulich geschriebene Geschichte. Vieles darin kommt mir bekannt vor, auch wenn die Abschaffung des Autos für uns leichter war, da wir direkt in dee Stadt wohnen und der Weg zur Arbeit nicht ganz so lang ist.
Grüße aus Berlin, Norbert
Hallo Norbert,
freut mich, dass dir mein Bericht gefallen hat.
Deine Sichtweise kann ich verstehen. Jetzt nachdem ich umgezogen ist, und mein Arbeitsplatz in der gleichen Stadt ist, vermisse ich mein Auto noch weniger.
Viele Grüße zurück, mittlerweile aus Halle (Saale).