Als wir, mein Mann und ich, nach Halle gezogen sind, drehte es sich um die Frage in welches Viertel wir ziehen würden. Welches sind die sicheren Bereiche, für eine afrodeutsche Person? Damals dachte ich, vor allem der nördliche Teil von Halle wäre wohl am sichersten (auch wenn wir letztendlich in einem anderen Viertel eine Wohnung fanden). Heute weiß ich, auch ein vermeintlich linker, antifaschistischer Anstrich verbirgt nicht die tieferliegenden Schichten von eigenem, strukturellem Rassismus, wenn dieser nie aufgearbeitet wurde.
Wenn ich an die weiße, linke Szene in Halle denke, dann denke ich an Menschen, die sich äußerlich antifaschistisch geben, in hippen Szenecafés über Utopien zur Weltrettung fantasieren aber Worten zu selten Taten folgen lassen, wenn es darauf ankommt. Wenn es nicht um eine Demo oder Kundgebung geht, sondern um ein Aufbegehren gegen Rassismus im Alltag. Wenn es darum geht, das eigene Gesicht zu zeigen, die eigene Stimme zu erheben, ohne sich hinter einem anonymen Kollektiv zu verstecken. Denn genau das können Menschen auch nicht, die von Rassismus betroffen sind. Diese Menschen erleben Gewalt jeden Tag, individuell und strukturell. Und sei es manchmal einfach durch ein ohrenbetäubendes Schweigen.
Ich spreche hier als BIPoC-Person und sage: die weiße linke Szene in Halle (Saale) ist kein Safer Space für BIPoC. Genauso wenig wie die meisten weißen Menschen hier in der Stadt. Nicht, wenn es darauf ankommt. There, I said it.
Es waren Anhänger der Antifa, die letzten Sommer versucht haben, in meinem Buchladen die Scheiben einzutreten, während sie dabei laut „Alerta Antifaschista“ riefen. Es waren die Menschen, die ihr „Hauptquartier“ am Reileck haben, die einen verleumderischen Beitrag geschrieben haben, dass wir die Rassentrennung wieder eingeführt hätten. Nur weil wir explizit erwähnen, BIPoC-Autor*innen auf unseren Regalen zu haben.
Es waren weiße Menschen aus Halle, die stolz erzählen, Teil der Bewegung Halle und PEGIDA zu sein, während sie im Gemeindesaal der Paulusgemeinde sitzen, und einen Menschen verteidigen der Rassismus und Verschwörungstheorien verbreitet.
Ich war dort, im Paulusviertel, inmitten von ca. 100 anderen Menschen. Ich war die einzige nicht weiße Person. Ich war eine der wenigen Personen, ich konnte sie an einer Hand abzählen, die Rassismus nicht als Meinungsfreiheit verklärten und sich gegen die Mehrheit gestellt hat, die PEGIDA nur als Ausdruck der besorgten bürgerlichen Mitte framten.
Kein Mensch der weißen linken Szene war dort, kein Mensch aus all den Kollektiven und Bündnissen, zumindest kein Mensch, der sich öffentlich dazu bekannt hat. Während ich auf die Bühne getreten bin, mit meinem Namen und meinem Gesicht, gab es ansonsten von einem anonymen Bündnis nur ein Statement im Vorfeld, ohne Namen der verfassenden Person. Das war alles.
Ein Ort, an dem das Schweigen so laut ist, ist nicht sicher für Menschen, die von Rassismus betroffen sind.
Kein Wunder also, dass eine Schwarze Autorin hier eine Lesung abgesagt hat, die in eben diesem Paulusviertel in eben dieser Kirchengemeinde stattfinden sollte. Weil diese Bühne nicht sicher ist für eine Schwarze Person und erst recht nicht für drei. Denn neben der Autorin sollte ein Schwarzer Musiker das Rahmenprogramm gestalten, während ich selbst die Lesung moderieren sollte.
Ich hatte mich darauf gefreut, diese großartige Frau kennenzulernen und mit ihr über ein spannendes Thema zu sprechen: Rassismus im Kontext christlicher Kirche. Ein Thema, das ich selbst erlebt habe und welches mit zu meinem Austritt beigetragen hat. Welche Ironie, dass diese Lesung nicht stattfinden kann, weil eben dieser Rassismus genau dort gerade so akut und unwidersprochen ist.
Ich verstehe die Autorin sehr gut. Denn ich war an oben genanntem Abend da. Ich spürte den Hass, der in diesem Raum waberte und die Luft vergiftete. Ich sah, wie viel Raum sich Menschen nahmen, um Hetze und Rassismus zu verteidigen und ich hörte, wie leise diejenigen waren, die dieser Diskriminierung nicht zustimmen, wenn sie denn überhaupt dort waren. Ich saß unter 100 Menschen und war so gut wie allein. Zwei weitere Frauen waren meine einzigen Verbündeten an diesem Abend. Beide waren auch für die Organisation der Lesung zuständig. Ihr Herz ist genauso schwer wie meins, wenn sie an die Absage denken.
Doch neben Traurigkeit und Resignation kocht in mir auch eine Wut. Wut darüber, dass so viele Menschen so leise sind, wenn es wirklich darauf ankommt. Wut darüber, dass wir strukturell im Kampf gegen Rassismus einfach nicht vorankommen. Wut darüber, dass zwar ständig neue Kollektive entstehen, Kundgebungen stattfinden, Plakate, Flyer, Sticker gedruckt werden, aber dies alles nur eine fadenscheinige Solidarität darstellt, die in Wirklichkeit so oft nur Fassade ist. Wut darüber, wie viele Menschen sich hinter leeren Worten verstecken die verbergen, dass von Rassismus betroffene Menschen noch immer eines sind, wenn es darauf ankommt: Ganz allein auf sich gestellt.
Absolute Gänsehaut Sarah. Beim lesen allein verspüre ich oft auch eine gewisse tief sitzende Angst weil es besonders in den letzten Jahren schlimmer geworden ist. Wer gegen Rassismus sich laut äußert – der stellt ein Problem bloß und wird damit selbst zum Problem. Es ist gruselig. Alleine auf eine Bühne zu treten und gegen zu halten braucht viel viel Courage und Mut. Die Angst die ich allein verspürte als man mir lediglich anonyme Androhungen per Instagram erhalten habe war mir schon genug um ein paar Nächte nicht schlafen zu können. Ich werde natürlich nicht aufhören zu bekunden wofür ich stehe aber es ist immer wieder aufs neuste ein Gefuhl der Unsicherheit. Einer für alle aber keiner für einem… absoluter Respekt für dich und auch ein großes: fuck you Halle.
Hallo Lima,
danke dir für deinen Kommentar und auch für dein Engagement gegen Rassismus. ❤